Hufkrebs? Strahlpolsterinfektion? Auf jeden Fall ein komplexer Fall und anspruchsvolles Teamwork!
Mitte August diesen Jahres wurde uns "Manolo", ein 22 Jahre alter Spanierwallach, zum ersten Mal vorgestellt, weil seinen Besitzerinnen seit einigen Tagen recht plötzlich eine Wucherung am Ballen und Strahl des linken Vorderhufs aufgefallen war, mit der das Pferd innerhalb kurzer Zeit nun auch lahm im Schritt und deutlich schmerzhaft ist. Sofort geisterte das Horror-Wort "Hufkrebs" im Stall herum und wir wurden in diese bereits recht verzweifelte Lage hinzugerufen.
Bei der ersten Untersuchung des Hufs, finden wir im Bereich der mittleren Strahlfurch eine käsig-helle Wucherung, die sehr schmerzhaft ist und auch schon bei leichter Manipulation zu bluten beginnt. Zudem hat der Wallach einen hochgradigen Zwanghuf. Das bedeutet, dass die Hufform sich über Jahre so verändert hat, dass die Zehe lang und die Trachten hoch und viel zu eng sind, sodass wenig Platz für den zusammengedrängten Strahl bleibt.
Unsere Verdachtsdiagnose lautet: Strahlkrebs. Dies ist eine Form des Hufkrebs, welches keine tumoröse Erkrankung ist, sondern eine chronische Verhornungsstörung, die häufig mit einem stark wuchernden Gewebe und stinkenden Belägen einhergeht. Die genaue Ursache ist bis jetzt unbekannt, oft liegen aber weitere Stoffwechselstörungen zu Grunde. Alternativ kommt eine Infektion des Strahlpolsters in Betracht, wobei dies eher durch eine Verletzung des Strahls entsteht und keine grundlegende Stoffwechselerkrankung zu befürchten ist.
Als erste Maßnahme legen wir einen Druckverband mit einer desinfizierenden, austrocknenden Lösung an, um sowohl Mikroorganismen abzutöten als auch das weitere, unkontrollierte Wachstum des Strahlgewebes zu bremsen. Wichtig bei dieser Art von Huferkrankung ist die absolut penible Hygiene und häufige Verbandwechsel. Um die Kosten nicht explodieren zu lassen und damit "Manolo" in seinem gewohnten Umfeld bleiben kann, schmieden wir mit den Besitzerinnen, einem erfahrenen Hufschmied und unserem Praxisteam einen Plan, bei dem die Besitzerinnen zunächst bis zum OP-Termin täglich den Verband selbst wechseln. Glücklicherweise ergaben die zwischenzeitlich durchgeführten Laboruntersuchungen des Blutes keine Hinweise auf gravierende Mangelerscheinungen oder weitere Stoffwechselerkrankungen.
Nach Beratung u.a. mit Markus Raabe, dem Gründer von Equiwent, erfahrenem Hufschmied und ausgewiesenem Hufkrebs-Experten, ist klar, dass der Wallach nicht um eine Operation, also eine radikale Entfernung sämtlichen kranken Gewebes, herumkommt. In Zusammenarbeit mit Hufschmied Steve Aurich wird diese OP am stehenden Pferd im Heimatstall durchgeführt. Dafür wird "Manolo" von uns sediert und für eine schmerzfreie Operation wird die gesamte untere Gliedmaße durch eine Leitungsanästhesie sowie zusätzliche lokale Betäubung des Ballens und Strahls gefühllos gemacht. Mit Hilfe eines angelegten Stauschlauchs in der Fessel werden starke Blutungen im Operationsfeld verhindert, sodass sauber und übersichtlich gearbeitet werden kann. Für einen besseren Heilungsverlauf werden die Trachten zurückgeschnitten und der Bereich um den Strahl herum geweitet. Auch wenn eine über Jahre erworbene derartige Fehlstellung des Hufes nicht mit einer Bearbeitung zu korrigieren ist, ist es doch wichtig, dem Strahl so viel Platz und Bewegungsspielraum für seine Funktion als Stoßdämpfer und Durchblutungspumpe des Hufes wieder zurückzugeben.
In der eigentlichen Operation wird dann das gesamte überschießende, käsige und stinkend veränderte Horn bis auf die gesunde Lederhaut abgetragen. Danach wird das Gewebe mit alkoholischer Jodlösung desinfiziert und ein antimikrobielles und austrocknendes Pulver aufgebracht. Entscheidend für die Heilung ist dabei, dass der Huf absolut trocken und sauber gehalten wird sowie die Lederhaut an ihrem Platz bleibt und damit die Chance erhält, wieder gesund zu überhornen. Dafür ist ein sehr starker Druckverband essenziell wichtig. Nur für die ersten Tage benötigt das Pferd ein entzündungshemmendes und schmerzlinderndes Medikament.
Nach der Operation beginnt der Teil der Therapie, bei dem die gute Zusammenarbeit zwischen Besitzerinnen, Hufschmied und uns Tierärztinnen außerordentlich wichtig wird und sehr viel Geduld gefragt ist. In den ersten vier Wochen muss der Druck- und Hufverband zweimal täglich gewechselt werden, was in diesem Fall in der Regel die Besitzerinnen selbst übernehmen. Ohne ihren großen Einsatz wäre eine solche Behandlung sonst nur in einer Pferdeklinik durchführbar. Der Wallach muss Boxenruhe halten, damit keine Feuchtigkeit an den Strahl kommt und die Heilung nicht durch eine Infektion oder übermäßige Belastung des zunächst fragilen neuen Horns gestört wird. Wichtig ist, kleinste negative Veränderungen frühzeitig zu bemerken und entsprechend zu reagieren, deshalb verabreden wir uns engmaschig für Kontrolltermine und gemeinsame Verbandwechsel. Auch der Hufschmied wird regelmäßig mit seiner Expertise zu diesen Terminen hinzugezogen und die Behandlung der Wunde und des Strahls immer wieder optimiert und angepasst.
Wir können erfreulicherweise bei jedem unserer Besuche Fortschritte verzeichnen. Sechs Wochen nach der Operation ist der Strahl wieder dünn überhornt und nur noch ein Schutzverband nötig. Bald darauf kann "Manolo" wieder völlig lahmfrei laufen, wird gearbeitet und der Strahl sieht wie ein normaler Strahl aus! Zwei Monate zuvor hatte der Anblick des Hufes und das Wort "Hufkrebs" für Angst und Schrecken gesorgt und vor unserem ersten Besuch stand im Raum, ob es die einzige Möglichkeit wäre, das Pferd zu erlösen. Es hat sich wieder einmal gezeigt: Wenn alle für das kranke Pferd an einem Strang ziehen, ihre Energie und Expertise einbringen und Durchhaltevermögen beweisen, können wir im Team manchmal kleine Wunder bewirken.
Ihr habt Fragen zu Hufkrebs oder "komische" Veränderungen an den Hufen eures Pferdes oder Ponys bemerkt? Dann scheut euch nicht, uns um Rat zu fragen und kontaktiert uns telefonisch oder per Whatsapp (gern auch mit Fotos zur Ersteinschätzung).